Nachruf auf Papst Johannes Paul II

Karol Wojtyla

Kurze Biografie


Die Medien lieben den Medienpapst über den Tod hinaus

Der Medienpapst bleibt bis zuletzt am Fernsehen präsent und die italienischen Medien berichten uneingeschränkt positiv über das Pontifikat des Papstes aus Polen.

Unter Papst Johannes Paul II. hat die vatikanische Zeitung Osservatore Romano stark an Bedeutung verloren, sie wird praktisch nur noch von Journalisten und Priestern gelesen.


Reaktionen aus der Politik

Auch Politiker aus aller Welt zeichnen ein einhellig positives Bild des Pontifikat von Papst Johannes Paul II. Zuvorderst in der Reihe der Schönredner stehen ausgerechnet US-Präsident George W. Bush, der britische Premierminister Tony Blair und der italienische Ministerpräsident Berlusconi, die der Papst vergeblich zu einem Verzicht auf den Irakkrieg zu bewegen versucht hat. Nach seinem Tod lobt Bush den verstorbenen Papst als "einen Kämpfer für die Freiheit der Menschen", Blair würdigt ihn als "Quelle der Inspiration" und Berlusconi sagt: "Wir sind dem Papst für seinen Einsatz für jede Form von Diktatur, Gewalt und moralischem Niedergang dankbar."

Offenbar ist die offen zur Schau gestellte herzliche Eintracht von Papst Johannes Paul II. mit dem damaligen chilenischen Militärdiktator Pinochet anlässlich des Papstbesuches in Chile bereits vergessen, ebenso wie die Tausenden von Regimegegnern, die von der Militärdiktatur Pinochets ermordet wurden.


Charakteristische Züge des Pontifikats von Johannes Paul II.

Galt vor Johannes Paul II. der Papst quasi als Gefangener des Kirchenstaates, so brach der Papst aus Polen radikal mit dieser Tradition und besuchte auf 104 Auslandreisen insgesamt 129 Länder und legte dabei eine Distanz zurück, die 29 Erdumkreisungen entspricht. Als Zeichen der Achtung pflegte der Papst jeweils auf dem Flughafen nach der Landung den Boden zu küssen.

Wer allerdings geglaubt hatte, dass die Papstreisen den Horizont des Pontifex merklich erweitern würden und auf echten Dialog mit den vielen, ganz unterschiedlichen Teilen der Weltkirche gehofft hatte, ist entweder ohne Überprüfung der späteren Aussagen und Taten des Papstes auf seine schönen Worte herein gefallen (so etwa die gesamte nicht-kirchliche Presse zum Thema Ökumene beim Papstbesuch 1984 in der Schweiz) oder wurde enttäuscht.

Kann man Johannes Paul II. schon nicht ernsthaft als Brückenbauer innerhalb der katholischen Kirche bezeichnen, so hat er doch immerhin die unter Johannes XXIII. und Paul VI. begonnene Öffnung und Annäherung an die nichtchristlichen Religionen fortgesetzt. Wer die unverbindlichen Besuche von Papst Johannes Paul II. bei den Oberhäuptern anderer Religionsgemeinschaften allerdings als eigenständige Initiative dieses Papstes bezeichnet, der kennt sich offensichtlich in der katholischen Kirche nur sehr oberflächlich aus. Schliesslich waren solche Gesten längst überfällig, nachdem sich das von Johannes XXIII. einberufene 2. Vatikanische Konzil schon unmissverständlich zur Religionsfreiheit bekannt hatte.


Papst Johannes Paul II, der grosse Bremser

Aus innerkirchlicher Sicht ist klar festzuhalten, dass sich der Papst aus Polen in seiner hauptsächlichen Funktion als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sich vor allem als Bremser und Verhinderer von Reformen profiliert hat. Der Erneuerungsprozess (Aggiornamento), der nördlich der Alpen bereits vor dem 2. Weltkrieg unter intensiver Beteiligung der kirchlichen Basis eingesetzt hatte, von den Pius-Päpsten aber abgeblockt und erst von Papst Johannes XXIII. mit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils zaghaft zugelassen wurde, ist unter Papst Johannes Paul II. vollständig zum Stillstand gekommen.

Obwohl sich bereits Papst Papst Paul VI., der direkte Nachfolger von Johannes XXIII. mehr als gewissenhafter, aber eher zurückhaltender Vollstrecker des Konzilserbes verstand und mit der Enzyklika Humanae Vitae (gegen die modernen Methoden der Empfängnisverhütung) die Autorität der Kirche in Fragen der Sexualmoral nachhaltig untergrub, schaffte es Johannes Paul II. jegliche Weiterentwicklung im Geist des Konzils abzuwürgen und versuchte selbst - allerdings ziemlich erfolglos - etablierte, wenn auch formaljuristisch so nicht durch die Konzilsdokumente gedeckte Neuerungen rückgängig zu machen. So verbot er wiederholt, dass Mädchen als Ministrantinnen eingesetzt werden dürfen, konnte aber nicht verhindert, dass mittlerweile in der Schweiz mehr Mädchen als Knaben ministrieren.

Papst Johannes Paul II. und die Jugend

Zwar beklagte Johannes Paul II. oft die Konsumorientierung der Jugend, war sich aber nicht zu schade, mit der gezielten Förderung des Personenkults um seine Person - wie anders soll man seinen professionellen Umgang mit den Medien werten - eben genau diese Konsumhaltung noch zu fördern. Für diesen Papst zählte offensichtlich nicht die gedankliche Auseinandersetzung der Gläubigen mit den Problemen der Gegenwart - sonst hätte er die Anliegen und Argumente, die ihm etwa die Jugendlichen beim Papstbesuch 1984 in der Schweiz engagiert und gut durchdacht vortrugen, nicht einfach an sich abprallen lassen, sondern wäre ernsthafter und nachhaltiger darauf eingegangen. Ebenso wenig interessierte ihn die bewusste Gewissensentscheidung jeder einzelnen Person, für diesen Papst zählte allein die traditionelle lehramtliche Meinung und von den Gläubigen erwartete er die unkritische Übernahme seiner unzeitgemässen Lehren.

Wen wundert es da, dass gerade beim letzten Papstbesuch in der Schweiz im Sommer 2004 eine offensichtliche Diskrepanz zwischen Starkult und völliger praktischer Bedeutunslosigkeit der moralischen Vorstellungen des Papstes für einen grossen Teil seiner jugendlichen Fans selbst den kirchenfernen Journalisten, die sonst dem Charisma dieses Papstes mit schöner Regelmässigkeit erlagen, nicht länger verborgen bleiben konnte.


Fazit des Pontifikats von Papst Johannes Paul II.

Das Fazit tönt hart: 26 Jahre Pontifikat von Papst Johannes Paul II. sind ganz sicher 26 verlorene Jahre für die Erneuerung der katholischen Kirche. Möglicherweise aber - und darauf deuten die kürzlich veröffentlichten alarmierend hohen Zahlen von Kirchenaustritten hin - hat der Medienpapst mit seiner Kombination aus charismatischer Show und beinhartem Abblocken von echter Diskussion und von Reformen darüber hinaus den Anfang vom Ende der katholischen Volkskirche eingeläutet. Mit Volkskirche ist hier eine aktive Gemeinschaft gemeint, für die Glaube nicht bloss Folklore ist, sondern konkret in den Alltag hinein wirkt, ohne dabei sektiererisch zu werden.

Dieser Prozess kann nach einem Vierteljahrhundert der Erosion wenn überhaupt nur noch mit grösster und konsequentester Anstrengung rückgängig gemacht werden. Die Chance, die katholische Kirche auf der Basis des 2. Vatikanischen Konzils gestärkt ins 21. Jahrhundert zu führen, hat der charismatische, aber konservative Papst aus Polen vertan, und es ist fraglich, ob seinem Nachfolger überhaupt nochmals eine solche gegeben wird (falls er sie denn überhaupt nutzen möchte).


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Letztes Update: 06.04.2005